Schüler

Verhaltens- & Umgangsformen im Unterricht

Grundsätzliches

Die traditionellen Kampfkünste Ostasiens zeichnen sich durch einen Kanon spezieller Verhaltensregeln aus, die von den Übenden während des Unterrichts eingehalten werden müssen. Die philosophische Basis der chinesischen Schulen wurde wesentlich durch drei Lehren gebildet, dies sind der Konfuzianismus, der Daoismus und der Buddhismus. Die Lehre des Konfuzius befasst sich insbesondere mit der Frage, wie der einzelne Mensch seinen Platz in der Gesellschaft finden kann. Die Lehren von Daoismus und Buddhismus betonen darüber hinaus den Wert spiritueller Reifung und verwerfen auch einige konfuzianische Auffassungen.

Die Lehren von Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus können auch heute noch, Jahrtausende nach ihrer Entstehung, eine gewisse Gültigkeit beanspruchen. Es ist allerdings notwendig, die Ideale und Prinzipien dieser Philosophien genau zu betrachten. Der Unterricht in einer traditionellen Kampfkunst soll hierzu die Möglichkeit bieten.

1. Häusliche Vorbereitungen

Das Anwenden der korrekten Verhaltensform beginnt bereits während der häuslichen Vorbereitung auf den Unterricht. Hier ist zunächst darauf zu achten, die Übungsbekleidung in einwandfreien Zustand zu bringen. Da die Teilnahme am Unterricht nur in kompletter Übungsbekleidung zulässig ist, darf nichts übersehen werden. Für Schüler (Dizi) ab Schülergrad I besteht der komplette Satz der Übungskleidung aus Damo Chuan-Jacke, schwarzer Kung Fu-Hose, schwarzem Hemd, schwarzen Socken/ Strümpfen, flachen Schuhen (hier ist die schwarze Ausführung der weißen vorzuziehen) und dunkler Unterwäsche. Für Anfänger gilt das gleiche mit dem Unterschied, dass sie keine Jacken tragen.

Bei Beschädigung der Bekleidung (Riss) ist das entsprechende Kleidungsstück vor dem nächsten Training zu nähen. Das willkürliche Verändern (Umnähen) von Jacke oder Hose ist nicht zulässig. Die Jacke kann während des Unterrichts durch Binden einer schwarzen Schärpe zusammengehalten werden. Farbige Schärpen dürfen nicht verwendet werden.

Die einzelnen Teile der Trainingsbekleidung sind unbedingt regelmäßig zu reinigen. In den Bereich der häuslichen Vorbereitung gehört außerdem die körperliche Reinigung und Pflege – neben allgemeiner körperlicher Sauberkeit gilt speziell, dass Fingernägel sauber und kurz geschnitten sein müssen und dass langes Haar vor dem Unterricht zu waschen und zu binden ist.

Dizi
Dizi

2. Das Verhalten unmittelbar vor Betreten der Übungshalle

Pünktliches Erscheinen zum Unterricht ist von großer Wichtigkeit. Die Umkleideräume sind spätestens zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn zu betreten. Verspätungen werden immer als Verstoß gegen die korrekte Form gewertet, unabhängig davon, ob gute Gründe für die Verspätung vorliegen oder nicht.

In den Umkleideräumen sollen die Schüler bei allen Aktivitäten zügig und gesammelt handeln, nicht trödeln, nicht schwatzen etc. Kleidungsstücke und sonstige persönliche Gegenstände, die während des Trainings in den Umkleideräumen verbleiben, sollen nicht achtlos herumliegen, sondern entweder zusammengelegt oder in Taschen verstaut werden. Uhren und Schmuck sind abzulegen, sie dürfen beim Training nicht getragen werden.

3. Das Betreten der Übungshalle & das Verhalten unmittelbar vor Beginn des Unterrichts

Das Betreten der Übungshalle (Guan) unterliegt einem formellen Ablauf: Zunächst schreitet man mit dem linken Fuß über die Schwelle und zieht den rechten Fuß nach, so dass man nun mit geschlossenen Füßen in der Halle steht. Jetzt erfolgt die Verneigung (Xingli) vor (dem Geist) der Übungshalle. Die Handflächen werden vor der Brust zusammengelegt, dann neigt man den Oberkörper in einem Winkel von mindestens 30 Grad nach vorn. Sollte man während des Betretens der Halle eine Übungswaffe oder einen anderen Gegenstand transportieren, so wird nur die linke Hand vor die Brust gehoben und dann erfolgt die Verneigung. Falls keine Hand frei ist, wird die Verneigung ohne Heben der Hände durchgeführt.

Die korrekte Körperhaltung während des Verneigens beginnt mit der Stellung He Jiao, das bedeutet ‚Geschlossene Füße‘. Der Oberkörper ist dann gestreckt nach vorn zu neigen, d.h. es darf nicht nur ein Einknicken im Bereich der Brustwirbelsäule stattfinden, sondern der gesamte Oberkörper neigt sich gestreckt nach vorn.

Die Zeitspanne vom Betreten der Übungshalle bis zum Beginn des Unterrichts ist zu nutzen, indem Matten und sonstige Übungsgeräte aufgebaut, Eintragungen in das Anwesenheitsbuch vorgenommen und individuelle Lockerungsübungen/ geistige Sammlungsübungen durchgeführt werden. Das Verschränken der Arme vor dem Körper und das Einstemmen der Hände in die Hüften ist während des gesamten Trainings nicht erlaubt. Ebenso gilt das Hinsetzen auf Bänke sowohl vor als auch während des gesamten Trainings als Verstoß gegen die korrekte Form.

Guan
Guan
Xingli
Xingli
Hejiao
Hejiao

4. Der Beginn des Unterrichts

Der Lehrer (Shifu) gibt das Zeichen (Händeklatschen, Kommando ‚Aufstellung!‘ bzw. ‚Zhunbei!‘) für den Beginn des Unterrichts. Die Schüler stellen sich gemäß ihrer Graduierung in einer Linie auf. Dabei stehen die Schüler mit den höchsten Graduierungen vorn, d.h. aus der Perspektive der Schüler am weitesten rechts und die Anfänger hinten, d.h. aus der Perspektive der Schüler am weitesten links. Die Aufstellung von Schülern mit dem gleichen Schülergrad erfolgt gemäß ihrer Körpergröße, dabei stehen die größeren Schüler vor den kleineren.

Ist die Aufstellung aller Schüler korrekt, erfolgt die Begrüßung ‚Nihao!‘ und Verneigung durch den Shifu. Dies wird mit ‚Nihao!‘ und Verneigung von den Schülern erwidert. Bei der Verneigung wird die geballte rechte Faust mit der linken Hand umschlossen und vor der Brust gehalten. Die Verneigung des Shifu beträgt ungefähr 15 Grad, die Verneigung der Schüler beträgt ungefähr 30 Grad.

Shifu
Shifu
Zhunbei
Zhunbei
Nihao
Nihao

5. Das Verhalten bei Demonstrationen

Demonstriert der Shifu eine Technik, sind die Schüler angehalten, genau zu beobachten. Es ist sehr wichtig, so viel wie möglich durch Beobachten zu lernen. Kein Schüler sollte sich darauf verlassen, dass andere (der Lehrer oder ältere Schüler) seine Fehler korrigieren. Es geht um das selbständige Lernen, und dies beginnt mit der genauen Beobachtung bei Demonstrationen.

6. Das Verhalten bei Partnerübungen

Vor und nach jeder Partnerübung verbeugen sich die zusammen trainierenden Schüler. Gegenseitige Korrekturen sind nur angemessen, wenn sie unbedingt notwendig und außerdem schnell, ohne große Diskussionen möglich sind. Während der Partnerübungen ist der Einsatz der Kräfte den Fähigkeiten des jeweiligen Mitschülers anzupassen.

7. Das Verhalten bei Formenübungen

Das gemeinsame Üben von Formen unterliegt folgendem Ablauf: Auf Kommando ‚Zhunbei!‘ des anzählenden Schülers begeben sich alle Schüler in die Blockformation und nehmen die Stellung He Jiao ein. Das Kommando ‚Kaishe!‘ zeigt den Beginn des Formenlaufs an, die Schüler verbeugen sich (Xingli) und erwarten das erste Zählkommando ‚Yi‘ oder ‚Eins‘. Nachdem alle Schritte der Form absolviert wurden, stehen die Schüler wieder in He Jiao und erwarten das Kommando ‚Shou Shi‘, das die Endstellung der Form anzeigt. Auf dieses Kommando hin verneigen sich die Schüler noch einmal. Damit ist der Formenlauf abgeschlossen.

Shoushi
Shoushi

8. Das Verhalten bei Qin Na-Übungen

Insbesondere während des Übens von Qin Na-Techniken ist darauf zu achten, den Partner nicht zu verletzen. Grundsätzlich sollten alle Techniken zunächst langsam geübt werden, wenn alle Bewegungen reibungslos ablaufen, können Kraft und Schnelligkeit der Ausführung gesteigert werden.

9. Das Verhalten bei Übungen im Block

Bei der Aufstellung im Block sollten die fortgeschrittenen Schüler stets vorn stehen, um den Anfängern die Orientierung zu erleichtern. Wird bei der Ausführung einer Übung in Blockformation die Bewegungsrichtung geändert, z.B. beim Fomenlaufen, dann stehen die Anfänger stets in der Mittellinie. Insbesondere bei Übungen in Blockformation ist auf den gemeinsamen räumlichen und zeitlichen Ablauf des Trainings zu achten.

10. Pause und Wassertrinken

Pausen zum Wassertrinken werden ausgerufen.

11. Verhalten bei Verspätungen

Sollte sich ein Schüler verspäten, führt er selbständig Erwärmungsübungen durch und schließt sich dann den anderen Schülern an. Verspätung ist immer ein Verstoß gegen die Etikette und sollte vermieden werden.

12. Verhalten bei Unwohlsein und physischen Beschwerden

In Fällen von Unwohlsein und physischen Beschwerden ist der Lehrer oder Übungsleiter zu verständigen. Es wird dann entschieden, ob eine kurze Pause zur Regeneration ausreicht oder ob der betreffende Schüler das Training abbrechen muss.

Kommentar

Die Vorstellung, dass das Einhalten von allgemeinen Regeln und das Befolgen ritualisierter Verhaltensformen als Basis für geistige Erziehung und körperlich-technische Ausbildung von großer Bedeutung ist, geht auf verschiedene Konzepte der drei großen philosophischen Lehren Chinas zurück. Sowohl Konfuzianismus als auch Daoismus und Buddhismus legen Wert auf eine gewisse Verhaltensregulation, aber die drei Schulen setzen sehr unterschiedliche Schwerpunkte. Während dem Konfuzianismus nachgesagt wird, die Dinge grundsätzlich sehr formell zu handhaben, unterstellt man daoistischen Schulen eine eher legere Verfahrensweise, doch derartige Verkürzungen treffen die Wirklichkeit nicht genau.

Das Befolgen zeremonieller Verhaltensformen im Damo Chuan Unterricht dient dem reibungslosen Ablauf des Unterrichts, trainiert die Fähigkeit zum Signalisieren von Respekt und Wertschätzung sowie das Wahren von Haltung und eröffnet dem Schüler die Möglichkeit, sein Bewusstsein für geistige Erkenntnis zu öffnen.

Nun können wir im Damo Chuan Kung Fu durch das Befolgen ritualisierter Gesten des gegenseitigen Respekts zwar gewissermaßen eine Höflichkeitsübung absolvieren, wenn wir das Grundthema dieser Übung jedoch nicht auf das Alltagsleben übertragen, bleibt die Geste im Unterricht beinahe ohne jeden Wert. Es gehört zum Grundverständnis eines kultivierten Menschen, sich im täglichen Leben darum zu bemühen, seinen Mitmenschen nicht auf die Nerven zu gehen. Wer diese Lektion nicht gelernt hat, ist auch kein wirklicher Schüler des Damo Chuan.

Die ritualisierte Handlung im Damo Chuan hat allerdings eine weitere Dimension, sie dient der Kommunikation des Bewusstseins mit dem Dao. Das Dao ist die hinter der Natur und ihren Gesetzen stehende Wirkkraft. Ziel der Kommunikation mit dem Dao ist es, sich mit der tieferen Wirklichkeit (von Welt und Bewusstsein) zu verbinden, die hinter der Wahrnehmungsoberfläche verborgen ist. Wenn wir die Übungshalle betreten und eine Verneigung ausführen, dann ist dies ein Zeichen, das sich an das Dao richtet – wir sagen damit, dass wir den Geist (das geistige Klima, die spirituelle Dimension) des Unterrichts und der Unterrichtsstätte wertschätzen. Um die geistige Lehre zu verstehen, die hinter diesem Konzept steht, ist es notwendig, sie eingehend zu studieren.
Den Gegner erkennen bedeutet, den Blick auf die Welt zu richten. Egal, ob uns der Gegner als ein schwertschwingender Krieger oder in Form einer anderen zu bestehenden Prüfung gegenübertritt – immer müssen wir uns auch um einen klaren Blick auf die Wirklichkeit da draußen bemühen. Den Gegner wirklich zu erkennen, heißt mit ihm zu verschmelzen. Auf diese Weise transzendiert man den Gegner.

Sich selbst kennen bedeutet, alles an sich selbst zu kennen, was das eigene Handeln beeinflusst. Das heißt auf einer tiefen Ebene auch zu sehen, was den eigenen Geist beeinflusst, auf dem das Handeln basiert. Sich selbst kennen kann deshalb nur derjenige, der sein Denken beobachtet. Das Ziel dieser Beobachtung des Denkens besteht aber nicht nur darin, das eigene Denken kennenzulernen. Es besteht vor allem darin, das illusionäre Denken zu identifizieren. Hat man das illusionäre Denken identifiziert, kann man es überwinden und zum klaren Denken gelangen.

Das klare Denken – der klare Blick sowohl auf sich selbst als auch auf den Gegner – ist der Schlüssel zum Sieg in jeder Schlacht. Deshalb verwendet der Schüler der Kampfkunst viel Zeit auf die Überwindung des illusionären Denkens. Das illusionäre Denken kann überwunden werden, indem der Übende die von den Meistern entwickelten Methoden nutzt. Diese Methoden werden innerhalb der formellen Unterweisungen vermittelt.

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